Carlo Schmid-Sutter, lic.iur. der Universität Freiburg blickt auf eine eindrückliche politische Karriere zurück. So war er unter anderem Mitglied des Grossen Rates von Appenzell Innerhoden, Landamman, sowie Ständerat. Von 1992 bis 1994 war er zudem Präsident der CVP Schweiz. Neben weiteren Mandaten präsidiert er heute die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom).
Referat: „Aktuelle Herausforderungen des Schweizer Strommarktes aus Sicht der ElCom“
Einleitende Bemerkungen zum Schweizer Strommarkt
Seit 2009 ist der Schweizer Strommarkt teil-liberalisiert. Wann der Strommarkt vollständig geöffnet wird, hängt von den Entwicklungen bei der Energiestrategie 2050, vom Marktumfeld und von den Verhandlungen zu einem Stromabkommen mit der EU ab. Die ElCom überwacht als unabhängiger staatlicher Regulierer die Liberalisierung des Strommarktes, die Strompreise und die Versorgungssicherheit und regelt Fragen zum internationalen Stromtransport und -handel.
Idealerweise entspricht die Stromproduktion dem Stromkonsum. Tatsächlich gibt es in der Schweiz seit Jahren im Winter „zuwenig Strom“; das heisst wir verzeichnen jährlich im Winterhalbjahr einen Importüberschuss. So betrug der Importüberschuss im 2016 insgesamt 4.0 TWh.
Heute wird ca. 60% des gesamten Schweizer Stromverbrauchs via erneuerbarer, einheimischer Wasserkraft gedeckt. Infolge Ausfalls einiger Kernkraftwerke (u.a. Beznau) ist der Anteil von Atomstrom tief (2016: 32,8 %). Alternative Energien stellen gemäss dem Referenten leider lediglich einen sehr marginalen Teil der Stromproduktion sicher.
In der Schweiz gewährleistet ein engmaschiges Stromnetz unterschiedlicher Spannungsebenen, dass der Strom rund um die Uhr zu den Konsumenten kommt. Das gesamte Stromnetz besteht in der Schweiz aus über 250‘000 Kilometern Leitungen. Es setzt sich aus einem Übertragungs- und einem Verteilnetz zusammen. Das Schweizer Stromnetz unterteilt sich dabei in sieben Netzwerkebenen. Dazu zählen nebst Höchst, Hoch, Mittel und Niederspannungsnetz auch drei Transformierungsebenen.
Die Swissgrid AG ist die Schweizer Übertragungsbetreiberin. Sie untersteht der Aufsicht der ElCom. Das 6700 km lange Schweizer Übertragungsnetz verfügt über 141 Unterwerke und 12‘000 Strommasten.
Der Schweizer Aussenhandel mit Strom ist von grosser Bedeutung für die westeuropäischen Staaten. Er dient traditionell als Drehscheibe für den Ausgleich von Spitzenbedarf und Spitzenproduktion der grossen kontinentaleuropäischen Länder. Deshalb bedarf es auch sehr potenter Leitungen, welche diesen Ausgleich gewährleisten müssen. Damit kommt den Verbindungen mit den europäischen Netzen eine zentrale Rolle zu.
Konsumenten
Bei den Konsumenten lässt sich die Unterscheidung in „Feste Endkunden“ (ca. 5,1 Mio.) und „freie Endkunden“ (ca. 50‘000) machen. Die festen Endkunden haben keine Wahlfreiheit bezüglich des Stromlieferanten; dafür aber eine Stromgarantie. Die sehr geringe Anzahl der freien Kunden hat demgegenüber die freie Wahl ihrer Stromlieferanten; dafür aber keinen Schutz der Grundversorgung.
Die Netzkosten betragen 4,55 Mrd. CHF und können auf den Endverbraucher überwälzt werden. Demgegenüber beträgt der Netznutzungsentgelt 4,45 Mrd. CHF, was zu einer Differenz bzw. einem Fehlbetrag von 100 Mio. CHF führt. Die allfälligen Differenzen (Über-oder auch Unterdeckungen) gleicht Swissgrid jeweils in den Folgejahren aus.
Wegweisender Bundesgerichtsentscheid
Der Durchschnitt der Strompreise betrug im 2017 20 Rp./kWh. Das Bundesgericht hatte sich mit der ElCom-Praxis hinsichtlich der Grundversorgung auseinanderzusetzen. Dabei ging es um das Thema der Bevorzugung freier Endkunden gegenüber festen Endkunden.
So ist heute die Eigenproduktion von Strom aus Wasserkraft gegenwärtig ungefähr doppelt so teuer wie die Strombeschaffung am Markt. Stromproduzenten mit festen und freien Endkunden haben daher begonnen, den festen Endkunden den selbst produzierten Strom zu Gestehungskosten zu verkaufen und die freien Kunden mit billigerem am Markt beschafften Strom zu Marktpreisen zu beliefern.
Das ElCom hat solche Preisgestaltungen untersagt und die Preisgestaltung nach der Differenzpreismethode angeordnet. Schliesslich hat das Bundesgericht die Durchschnittspreismethode bestätigt. Interessierten Kreisen wird die Lektüre des Bundesgerichtsurteils vom 20. Juli 2016 (2C_681/2015m 2C_682/2015) empfohlen.
Neue Marktmodelle
Die tiefen Strommarktpreise gefährden die Rentabilität der Stromproduktion in der Schweiz. So entwickeln die Produzenten Marktmodell, die beinahe alle eine staatliche Unterstützung beinhalten. In der Diskussion zum „Marktdesign“ muss deshalb zwischen der „Versorgungssicherheit“ und „Missing Money“ unterschieden werden. In der Politik ist die Einsicht gereift, dass es ein neues Markt-Design braucht, also eine Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Preisbildung im Strommarkt, dank der politisch gewollte oder systemdienliche Leistungen abgegolten wreden, welche die unsichtbare Hand des Marktes heute nicht von sich aus erbringt.
In der Schweiz sind die beiden Problemfelder Axpo und Alpiq bekannt. Sowohl im 2015 wie auch im 2016 gab es während des Winters Engpässe; die Ausfälle Leibstadt/Beznau in den Jahren 2016/17 stellten ebenfalls grosse Herausforderungen dar.
Herausforderungen & Ausblick
Im Hinblick auf die kurzfristige Versorgungssicherheit sieht der Referent keinen akuten Handlungsbedarf. Gleichwohl müssen für die Zukunft verschiedene Stressszenarien geprüft und bewertet werden.
Im Zusammenhang mit der Importabhängigkeit sieht Carlo Schmid allerdings für die Zukunft grosse Herausforderungen auf die Schweiz zukommen. So will zum Beispiel Deutschland in absehbarer Zukunft alle Atomkraftwerke abstellen. Deshalb sind weder Panik noch Sorglosigkeit angebracht.
Im Hinblick auf die wegfallende Energie aus der Kernkraft muss die entstehende Lücke entweder mit mehr Eigenproduktion oder mit höherem Import geschlossen werden. Bei einem höherem Import wäre die Schweiz zugleich auf eine entsprechende Exportbereitschaft der Nachbarländer angewiesen, was nicht ohne Risiko ist, wie vergangene Beispiele gezeigt haben (Nichtverfügbarkeit der Produktion in Frankreich, Netzengpässe in Deutschland und Italien). Deshalb empfiehlt der Referent zudem die Bildung strategischer Reserven.
Gemäss Carlo Schmid kommen in naher Zukunft zudem wichtige weitere Herausforderungen dazu, wie z.B.
- Die Energiestrategie 2050
- Die Frage der vollen Marktöffnung für KMU und Haushalte
- Design Strommarkt und allenfalls die stärkere Integration in den EU-Markt mittels
Stromabkommen
Die Schweiz wird aber auch diese Herausforderungen mit Bravour meistern!
Der Programmpräsident verdankt das äusserst interessante Referat und wünscht allen Anwesenden eine gute und erfolgreiche Woche.
Der Wochenbriefschreiber, Angelo Eggli